Digitaler Transfer: Start-ups, Daten und Prozesse

Die GWQ hat die Weichen in Richtung digitaler Transfer gestellt

Als die GWQ ab dem Jahr 2016 ihre ersten E-Health-Foren veranstaltete, war das Interesse groß, aber der Nachhall schwach;

Digital Health war noch ein Fremdwort. Für die GWQ stand es trotzdem außer Frage, dass die Digitalisierung die Gesundheitsversorgung und den Gesundheitsmarkt maßgeblich verändern würde. Sie hat in den folgenden Jahren ihre Digitalisierung zum Kern der eigenen Strategie ausgearbeitet, in ihre analytische Kompetenz investiert und erste Lösungen auf den Weg gebracht.

Die Digitalisierung hat durch die Pandemie einen kräftigen Schub bekommen.

Im vergangenen Geschäftsjahr hat die GWQ zwei richtungsweisende Weichen gestellt. Einerseits wurde mit dem anonymisierten Datenpool eine einzigartige Basis für eine neue Qualität der Analytik aufgebaut. Andererseits wurden neue Einkaufs- und Kooperationsmodelle eingeführt, um Versicherten qualitätsgesicherte, digitale Anwendungen anbieten zu können, sofern diese verbindliche Kriterien für Wirtschaftlichkeit, Qualität und Nutzen erfüllen.

Die Herausforderung bei jeder Entscheidung zur Digitalisierung ist es, dass es für die Transformation keinen festen Endpunkt gibt, kein klar beschriebenes Bild des digitalvernetzten Gesundheitssystems der Zukunft, auch nicht seitens der Gesundheitspolitik. Weil außerdem viele Lösungen aufgrund des Innovationstempos eine kurze Halbwertzeit haben, orientiert die GWQ ihre Strategie an zwei Zielpunkten.

Langfristig geht es darum, das enorm teure Problem der Unter-, Über- und Fehlversorgung zu lösen. Die Grund­lage liefert die Analytik, die Instrumen­te sind Vernetzung und telemedizinische Anwendungen, der Treiber der Umsetzung sind Selektivverträge. Kurzfristig wird die Digitalisierung auf zwei Ebenen für die Kunden nutzbar gemacht: Auf dem Feld der Analytik werden den Krankenkassen Wege zur wirtschaftlicheren und besseren Versorgung aufgezeigt und mit Kooperationspartnern spezifische Fragestellungen untersucht. Parallel werden den Krankenkassen digitale Anwendungen angeboten, die Versorgungsverläufe sinnvoll ergänzen oder die, wo schon möglich, bereits integraler Bestandteil von Versorgungsverläufen sind.

Der Einsatz von guten oder nützlichen Apps ist nur ein Mosaikbaustein eines digitalen Gesundheitswesens, allerdings einer, der schon heute konkret einsetzbar ist. Die DiGA-Liste für die Regelversorgung mit Apps ist eine Reaktion auf den wachsenden und ungeregelten Anbietermarkt und die enorme „private“ Nachfrage. Die bisher verfügbaren Anwendungen sind dabei in erster Linie „Extras“, die vom Arzt verordnet werden können. Dass sie integraler Bestandteil der Versorgung werden, ist bislang nicht erkennbar.

Die GWQ geht angesichts des dynamisch wachsenden und unübersichtlichen Marktes zweigleisig vor. Neben indikationsbezogenen Einzelverträgen – z. B. zu 7Mind, einem individuellen Präventionsangebot bei psychischen Belastungen oder dem Programm SBS (Spielend besser sehen!) mit einem therapeutischen Computerspiel zur Verbesserung der Amblyopie-Therapie – setzt die GWQ seit 2020 auf leicht skalierbare Vertragsmodelle. Die Kriterien hinsichtlich Funktionalität, Qualität, Wirtschaftlichkeit und Auswertung stellen sicher, dass Anforderungen der Krankenkassen wie auch Erwartungen der Versicherten gleichermaßen erfüllt werden.

Mit „smarter health“ hat die GWQ im vergangenen Jahr eine eigene Plattform für dieses Vertragskonzept eingerichtet.

Zu einer wachsenden Zahl von Indikationen können Start-ups Verträgen mit definierten Indikationen, Leistungsanforderungen und Standards für Qualität, Datenschutz und Kosten beitreten. Damit haben sie einen direkten Zugang zum GKV-Markt, müssen sich aber auf der Plattform dem Wettbewerb um das Interesse der einzelnen Krankenkassen stellen. Für den ersten „smarter health“-Indikationsbereich „Psychische Erkrankungen“ stehen Krankenkassen mittlerweile vier Apps mit unterschiedlichen Konzepten zur Auswahl. Auch für den zweiten Bereich „Schwangerschaft“ wurde 2020 ein Erstvertrag mit Keleya für die Nutzung der gleichnamigen App abgeschlossen, im Juni 2021 folgte ein zweiter Vertrag mit der FBE GmbH für die Nutzung der BabyCare-App.

„smarter health“-Apps sind als Begleitung von Behandlungen oder gesundheitsrelevanten Lebenssituationen gedacht. Dagegen legen Anwendungen wie „Preventicus Heartbeats“ den Fokus auf Vernetzung und Versorgungsqualität. Im Rahmen des GWQ-Programms „RhythmusLeben“ wird potentiellen Risikogruppen für Vorhofflimmern – ein Hauptrisikofaktor für Schlaganfälle – eine ärztlich überwachte App zum Selbstmonitoring des Herzrhythmus gestellt. Die Selbstmessungen verbessern die Datenbasis des behandelnden Arztes ohne zusätzliche Patientenkontakte und ermöglichen schnelle Interventionen bei potenziell gefährlichen Unregelmäßigkeiten in Form von modernster Anschlussdiagnostik mit einem 14-tägigen Tele-EKG. Nicht zuletzt werden die Versicherten Akteure in eigener Sache; das kann das Gesundheitsbewusstsein schärfen und, unterstützt durch die App, Verhaltensänderungen auslösen.

Während der Nutzen vieler digitaler Anwendungen noch unklar ist, ist die Bedeutung der Datenanalytik für die rationale und patientenorien­tierte Versorgungsorganisation unbestritten. Die Antwort der GWQ ist ein in Eigenregie entwickeltes Konzept für einen anonymisierten Datenpool, der seit 2020 bei Analysen von Über-, Unter- und Fehlversorgung eingesetzt wird – und der den Wettbewerbsvorsprung der GWQ auf diesem Feld dokumentiert.

Die ersten Projekte hat die Analytik gemeinsam mit dem Arzneimittelmanagement durchgeführt. Die Ergebnisse belegen eindrucksvoll, wie stark die Versorgungspraxis vom wirtschaftlichen und leitliniengerechten Verordnungsverhalten abweicht und wo Einsparungen ohne Qualitätsverluste generiert werden können. So wurde nachgewiesen, welche Arzneimittelgruppe am besten zur Zweitlinientherapie bei Diabetes II geeignet ist – und dass die Steuerung auf diese Medikamente erhebliche Einsparungen für Arzneimittel und bei der ärztlichen Behandlung bringen würde. Oder es wurde belegt, wie Hersteller bei der Krebstherapie eine Lücke des AMNOG (Arzneimittel-Neuordnungsgesetz) nutzen: Sie bringen immer neue und teurere Kombinationstherapien ohne oder nur mit geringem Zusatznutzen auf den Markt und sorgen so für rasant steigende Ausgaben. Weitere Projekte entdeckten den zu frühen und leitlinienwidrigen Einsatz teurer Arzneimittel zur Migräneprophylaxe oder den Trend zu den teuren, neuen, oralen Antikoagulantien (NOAKs) zur Schlaganfallprophylaxe, trotz therapeutischer und wirtschaftlicher Vorteile bereits bewährter Gerinnungshemmer.

Solche Analysen sind für alle Versorgungsbereiche möglich und die GWQ steht hier an der Spitze der Entwicklung. Für die künftige Geschäftsentwicklung spielt die Datenanalytik daher eine zentrale Rolle. Der anonymisierte Datenpool in Kombination mit analytischer Kompetenz liefert die Grundlagen für indikations- und problembezogene Selektivverträge und für individuelle Steuerungsmaßnahmen der Kassen. Daneben kooperiert die GWQ bei spezifischen Analyseprojekten mit ausgewählten Forschungsinstituten, pharmazeutischen Herstellern und anderen Akteuren.

Bislang sind der „Verwertung“ des Datenschatzes noch Grenzen ​gesetzt. Die systematische Analyse von Defiziten in der Versorgung ist bisher eher punktuell und nicht flächendeckend möglich, Selektivverträge haben bisher zu wenig Spielraum und die Krankenkassen keine systemischen Anreize für Investitionen in bessere Versorgung. Wirklich erschlossen wird der Datenschatz erst, wenn Krankenkassen und Unternehmen wie die GWQ erheblich größere, idealerweise sektorenunabhängige, selektivvertragliche Freiheit erhalten. Dann könnten sich die GWQ-Verträge zur gezielten Verbesserung konkreter Therapien oder Versorgungsverläufe entwickeln – und der lange beschworene Qualitätswettbewerb der Krankenkassen könnte beginnen.